Ein- und Auswanderer – Adam Lengenius Müller und andere
In all den Jahrhunderten haben Menschen ihr Heim und ihr Dorf verlassen, um an neuen Orten das zu finden, was sie in ihrer alten Heimat vermisst hatten.
Massenbachhausen gehörte im Laufe der Zeit zum Besitz verschiedener Herrschaften, wie die von Neipperg, den Echters von Mespelbronn, den Dalbergs und denen von Ingelheim. Im Vertrag vom 13. Nov. 1906, basierend auf Reichsdeputationshauptschluss von 1903, fiel Massenbachhausen an das Königreich Württemberg. Die Neuordnung erforderte eine Zugehörigkeit zum Oberamt (OA) Kirchhausen und später zum O/A Brackenheim.
Wenn wir hier von Aus – und Einwanderung sprechen, so ist das nicht gleichbedeutend mit dem was wir heute unter diesem Begriff verstehen. Wie im vorhergehenden Absatz berichtet, hatten sich die politischen Zugehörigkeiten über den Berichtszeitraum (OFB 1400 – 1908) grundlegend verändert. Im ersten Zeitraum erfahren wir von „der Herrschaft“, die über den Ort bestimmte.
Für uns heute unvorstellbar, wurde der Ort mehrmals mit Grund, Gebäude, Mensch und Vieh verkauft und wieder zurückgekauft. Dass neben der politischen Zugehörigkeit auch die jeweilige Religion angenommen werde musste, ist eine weitere interessante Facette.
Durch die politische Abgrenzung der Ortschaften untereinander entstanden die Begriffe des „Auswanderns bzw. des Einwanderns“. So ist man zur Zeit der Herrschaften nicht nur nach Amerika, Russland, Australien usw. ausgewandert, sondern auch ins Badische oder ins Hessische, sogar nach Sigmaringen, das damals zu Preußen gehörte. Aber auch ein Wegzug nach, z.B. Massenbach oder Kirchhausen war eine Auswanderung. Diese Zuordnung hielt sich auch nach Eingliederung des Ortes in den Staatenverbund des Königreichs Württemberg. Erst zu einem viel späteren Zeitpunkt hat man zwischen Ein- und Auswanderung von oder in fremde Staaten und Zu– und Wegzug innerhalb Deutschlands unterschieden.
Schaut man sich die Gründe an warum Menschen ihre Heimat verließen, so sind Kriege, Unterdrückung durch die Obrigkeit, Religionszugehörigkeit, Hungersnöte, aber auch familiäre Gründe ausschlaggebend. Der Grundstein für eine große Auswanderungswelle, die bis in das 20. Jahrhundert reichte, wurde im 17. Jahrhundert gelegt. Der Dreißigjährige Krieg (1618 – 1648) trieb die Menschen aus ihren Dörfern. Spätere Kriege in unserer Region sorgten dafür, dass die Auswanderungswelle nicht nachließ.
Im 17. und auch bis Ende des 18. Jahrhunderts hat sich wohl kaum jemand die Mühe gemacht die Wanderungsbewegungen zu dokumentieren. Erste Aufzeichnungen finden sich im Matrikelbuch der kath. Pfarrei ab 1791. Das Gemeinde Archiv verzeichnet Auswanderungen erst ab 1807, wobei diese Art der Aufzeichnung 1885 endete und durch Eintragungen der Standesämter in den Familienbüchern ersetzt wurde. In diesem Zeitraum können wir 153 Ausreisen verzeichnet finden.
Die Blütezeit der Auswanderungen war in den Jahren 1852 bis 1854. Im Matrikelbuch, den Familienbüchern und dem Gemeindearchiv wurden folgende Länder und Orte festgehalten: Amerika, Australien, Frankreich, Österreich, Ungarn, Russland, Kohlhof in Baden, Kirrweiler in der Pfalz, Kirchardt in Baden, Landsheim in Baden, Jagstfeld, Heidelberg, Kochertürn, Eberbach in Baden, Nordheim, Rastatt, Stockheim, Heidelsheim in Baden, Eppingen in Baden, Berwangen in Baden, Hagenbach, Elsenz, Weiler, Neckarelz, Sulzbach in Baden, Lörzenbach in Hessen, Steinsfurt in Baden, Muckenthal in
Baden, Mannheim, Hamburg, Sigmaringen in Preußen, aber auch nach Kirchhausen und Massenbach.
Die Auswanderungswilligen hatten einen peinlichen Prozess zu durchlaufen. Neben dem Verzicht auf das Bürgerrecht im Ortsrecht und im Staatenverbund, wurden verschiedene Fragen geklärt. Sie mussten schuldenfrei sein. Diese Schuldenfreiheit wurde durch öffentliche Gläubigeraufrufe attestiert. Es musste ein Geldbetrag vorgewiesen werden, eventuell auch einen Bürgen, der das Geld vorstreckte. Die Gemeinde aber gab auch Geld für solche, die man gerne loswerden wollte, Leute mit fragwürdigem Ruf oder Arme. Es wurde auch die Verpflichtung zum Wehrdienst geprüft. Eine Auswanderung konnte an dieser Frage scheitern, weswegen es einige junge Männer vorzogen bei Nacht und Nebel zu verschwinden. Für von der Fahne Flüchtende gab es dann einen öffentlichen Aufruf mit der Androhung von Kerker. Im Gemeindearchiv sind zwei Fälle namentlich protokolliert.
Der erste im Gemeindearchiv dokumentierte Ausreiseantrag kam 1807 von Margaretha Körner, geb. Vorderbandt.
Sie hat nach dem Tod ihres Mannes Melchior Körner, am 12. Juni 1807, die Ausreise für sich und ihre drei Kinder Margaretha, Johanna und Franziska nach Gibbau in Mähren – Österreich beantragt.
Rosalia Bartelmann beantragte 1819 die Auswanderung nach Neckarelz. Wie wir den Dokumenten entnehmen können wollte sie sich dort verheiraten. In Neckarelz erwartete Sie gleichfalls eine peinliche Befragung. Der Rat wollte genau wissen wen man sich hier in den Ort holte. Darüber später noch mehr.
Anton Anton Seufert wanderte 1852, nach dem Tod seiner 2. Frau (1850), mit seiner Schwester Maria Josepha und seinen 4 Kindern nach Amerika aus.
Magdalena Muth, wurde als Tochter von Nikolaus Muth und Pauline Schwarz, die 1871 in Hausen geheiratet hatten, 1872 geboren. Nikolaus war von Kirchhausen und war Dienstknecht (unselbständige Arbeitskraft, die sich für längere Zeit verdingt hatte und in den Haushalt seines Arbeitgebers aufgenommen wurde). Magdalena, das 6. Kind, hatte 9 Geschwister und man kann davon ausgehen, dass der Hunger ständiger Gast am Tisch war.
Magdalena hatte einen Sohn, Johannes, der 1892 mit nur einem Monat starb. Über den Vater ist nichts überliefert. Kurze Zeit später stellte Sie den Auswanderungsantrag und ist 1892 mit dem Schiff City of Berlin von Liverpool über Queenstown nach New York ausgewandert. Dort ist sie am 2. Juli 1892 angekommen und in den Staat Illinois, im mittleren Westen, weitergereist. Magdalena ist mit ihrem Bruder Carl , 27 Jahre alt und von Beruf Schuhmacher, gereist. Sein Ziel war ebenfalls Illinois. Dort verliert sich beider Spur.
Die Geschichte von Adam Sebastian Reuter und seiner Sophia wurde in der Ortschronik von 1999 erzählt. Inzwischen hatte ich weitere Details zu der Reise gefunden, die ich hier anhängen möchte. Adam Sebastian, geb. 1901, ist am 28. Sept. 1927 auf dem Schiff Bremen von Bremen nach New York ausgewandert.
In der Passagierliste wird er wie folgt erwähnt:
III. Klasse, 26 Jahre alt, ledig, Landwirt und Tagelöhner, Zielort Binghamton NY.
1930 hat er seine Sophie nachgeholt und sie haben 1931 geheiratet.
Theodor Reuter, geb. 1907, ist am 14. Nov. 1929 mit dem Schiff München, des Nordd. Lloyd Bremen, von Bremen nach New York gefahren.
In den Passagierlisten ist folgendes eingetragen: Kajüte, 22 Jahre alt, ledig, Schlossergeselle, Reiseziel Ives, Wisconsin.
Wie eingangs erwähnt, sind in den Kirchenbüchern und im Gemeindearchiv auch Einwanderungen verzeichnet. Die jeweiligen Antragsteller, mussten nicht nur in ihrem Heimatort die Auswanderungsprozedur ertragen, es kam dann auch noch die Ein- oder Zuwanderungsprozedur in der neuen Heimat dazu.
So lesen wir von Johann Baumgärtner, der die Maria Theresia Auer aus Stockheim kennengelernt hatte. 1823 wollte man heiraten und Johann stellte für Maria Theresia einen Antrag auf Zuzug und Aufnahme in den Ort. Hierfür musste Sie ihr Vermögen offenlegen.
Wir lesen weiter: „Das Vermögen belangend, so erhält sie, die Bittstellerin Theresia, zu Eigenthum:
a.) die den Georg Adam Auerschen Erben und dahier jene von Joseph Auer dortselbst erblich zugefallenen Güter, ungefähr 5 Morgen Feld enthalten, zu 300 FL (Gulden) ungeschlagen, (ungeschlagen, dabei handelt es sich um Edelmetall, das zu Münzgeld „geschlagen“ werden konnte. In dieser Zeit wurden Münzen nicht geprägt, sondern geschlagen).
Sodann ferner 200 FL an Geld von ihren Eltern auf Martini (11. November) 1823 & 1824.
Abstammungs- und Vermögensurkunde des Königl. Württembergischen Rath von Stockheim
zum Zwecke der Heirat vom 14. Mai 1823.“
Ein politischer Fall war der der Bittstellerin Anna Margaretha Losekamp aus Hersfeld. Sie und Paul Gantner wollten heiraten und erbaten die Genehmigung des Rates. Der Rat von Hausen lehnte das Gesuch aber ab, man hatte Sorge sich einen Sozialfall in den Ort zu holen.
Im Staatsarchiv Ludwigsburg können wir hierzu lesen:
„1826, gegen die Zustimmung des OA (Oberamt) Brackenheim hat der Gemeinderat von Massenbachhausen gegen die Aufnahme von Anna Margaretha Losekamp, aus Sorge, dass neben dem mittellosen Paul Gantner, nun noch eine Ausländerin der Gemeinde zur Last fallen würde, Beschwerde eingelegt“.
Anna Margarethe Losekamp legte dar, dass sie 351 FL mit in die Ehe bringt.
Sie war also eine gute Partie. Die Ehe wurde am 25. Februar 1827 dokumentiert.
Durch einen besonderen Zufall konnte ich den Weg von Adam Lengenius Müller bis heute zurückverfolgen. Sein Vater Johann Müller war Schuhmacher und seit 1825 mit Katharina Baumann verheiratet. 1831 kam Adam Lengenius als drittes Kind zur Welt.
Die älteste Schwester war Christina, sie starb 1902 mit 76 Jahren. Katharina (2. Kind) lebte nur 1 ¼ Jahre und starb 1829. Adam Lengenius erlernte, wie der Vater, das Schusterhandwerk. Am 9. Mai 1855 ist er, im Alter von 24 Jahren, nach dem Tod seiner Eltern (1853 und 1854), nach Australien ausgewandert. Es gab einen öffentlichen Gläubigeraufruf.
Die Verzichturkunde datiert vom 9. Mai 1855.
In der Lister der Auswanderer im Gemeindearchiv ist ein Antrag unter der Nr. 86 dokumentiert.
Von der Gemeinde erhielt er 50 FL (Gulden) Unterstützung.
Er verließ Hamburg am 26. Mai 1855, zusammen mit weiteren 122 deutschen Auswanderern, auf einer Brigg (Zweimastsegler), mit dem Namen Grasbrook, getauft nach einer Insellandschaft an der Elbe, nahe Hamburg.
Der Bielbrief (Beilbrief oder Bielbrief, Biel=niederdt. Beil), ist ein Schiffsbauvertrag, worin der Schiffszimmermann beauftragt wird ein Schiff zu bauen, also sein Beil zu gebrauchen.
Im Bielbrief sind für die Grasbrook folgende Masse angegeben:
Länge zwischen den Steven: 102,40 Hamburger Fuß (29,30 m),
Größte Breite: 27,80 Hamburger Fuß (7,95 m),
Höhe (Bauchdiele bis Verdeckplanken): 15,90 Hamburger Fuß (4,55 m).
Die Grasbook unternahm 1855 nur diese Reise nach Australien und erreichte Brisbane an der Moreton Bay, an der Ostküste Australiens, im Distrikt Queensland, am 23. Sept. 1855.
Für uns heute unvorstellbar, wie es 112 Passagiere 4 Monate auf diesem kleinen Segelschiff ausgehalten haben.
Der Moreton Courier Brisbane berichtet auf der Seite 2 seiner Ausgabe über die Ankunft der Auswanderer und die mitgebrachten Waren.
Adam Lengenius wurde in der Brisbane Kolonie angesiedelt. 1855 wird er in den Immigration Records als Schäfer geführt, 1861 dann als Schuhmacher. Ein Migration Project half Einwanderern in der Landwirtschaft und Industrie Fuß zu fassen. 1861 heiratete er eine irische Einwanderin mit Namen Ellen Kelly. Über ihre Familie ist leider nichts bekannt. Nach 1861 arbeitete er als Holzfäller und lebte vor Ort in großen Camps. Das Holz wurde für den Bau der Eisenbahnlinie Ipswich – Grandchester verwendet, eröffnet 1865. 1866, nach der Geburt seiner Tochter Elena, erfolgte die Namensänderung in Miller.
Adam Lengenius hatte zwei weitere Kinder, Adam Junior starb mit 18 Monaten und 1868 wurde William geboren. 1876 schwor Adam Lengenius den Untertaneneid auf Queen Victoria von England. Dieser Eid war für Einwanderer von besonderer Bedeutung, zeugte er doch von Loyalität und ermöglichte Land zu kaufen. Adam Lengenius hat Land erworben, wahrscheinlich im Zuge der üblichen Landversteigerungen.
Er hat für sich und seine Familie ein Haus in Toowoomba, in der West Street 333 gebaut.
Dieses Haus steht heute noch und liegt nahe der Miller Street.
Adam Lengenius war sehr musikalisch, spielte ein paar Instrumente, einschließlich eines Akkordeons. Er war sozial eingestellt und überaus gastfreundlich. In den Erzählungen von Tante Joan war zu hören, dass er vier Sprachen sprach. Adam Lengenius arbeitete als Bauer auf seinem Land. Er hatte eine Obstplantage und einen Weinberg. Er verkaufte einen Teil der Trauben und aus dem Rest machte er Wein, den er in einem Weinkeller kelterte, ganz nach alter deutscher Tradition. Adam Lengenius starb 1904 mit 73 Jahren. Seine Schwester Christiane heirate 1881 Leonhard Baumgärtner. Das Paar hatte 4 Töchter, die sich ihre Männer aus den Familien Schwarz und Baumgärtner aussuchten. Über weitere Generationen wurde in die Familien Schwarz, Straub, Baumann, Müller, Goldfuss, Rücker, Gantner, Fischer und Tronser eingeheiratet. Damit war die Linie des Johann Müller, dem Vater von Adam Lengenius, in Massenbachhausen ausgestorben, während sie in Australien weiterlebt.
(Text und Bild Karl-Heinz Vetter)
Quellen:
Kirchenbücher, kath. Pfarramt Massenbachhausen
Liste der Auswanderer, Gemeindearchiv Massenbachhausen
Staatsarchiv Ludwigsburg
Erzählungen der Familie Miller, Australien
Bilder, mit freundlicher Genehmigung der Familie Miller
Moreton Bay Courier (Brisbane Qld. 1846 – 1861), Seite 2
Wikipedia – Schiffstypen